Ein Dirigent für alle Fälle
Scheer sz Normalerweise lassen sich Dirigenten den Taktstock nicht aus der Hand nehmen. In Scheer, Mengen und der Umgebung kommt dies aber vor allem bei dem Stück „Auf der Vogelwiese“ immer öfter vor. Das ist nämlich das Lieblingsstück von Simon Sauter. Und weil der 19-jährige Musiker der Stadtkapelle Scheer dabei einem ausgebildeten Dirigenten in Nichts nachsteht, machen die musikalischen Leiter der Kapellen aus der Region für ihn gern eine Ausnahme.
Hinzu kommt: Er ist einfach ein absoluter Publikumsliebling. „Bei den benachbarten Musikvereinen kennen alle unseren Simon“, sagt seine Mutter Marion Sauter. Dass Simon, der das Down-Syndrom hat und die Fidelisschule in Sigmaringen besucht, musikalisch ist, habe sich schon früh gezeigt. Sein Vater Jürgen Sauter spielt schon seit fast 40 Jahren in der Stadtkapelle Tenorhorn, sein älterer Bruder Manuel Trompete. „Bei uns daheim lagen eigentlich immer Instrumente herum“, erzählt Jürgen Sauter. Weil ihm selbst die Musik wichtig gewesen sei, habe er auch bei den Kindern auf eine Ausbildung gedrängt. „Simon hat schon als Kleinkind alles ausprobiert und wollte später überall bei der Stadtkapelle mit dabei sein.“ Nur Daniel, der jüngste unter den Geschwistern, spielt nicht in der Stadtkapelle.
Erstes Etappenziel für Simon war ein eigenes Häs zur Fasnet 2005. Der Neunjährige hatte sich so sehr eine Trompete gewünscht, und da eine richtige Trompete zu schwer war, wurde das Instrument aus einer Holzplatte ausgesägt. Stolz lief Simon dann beim Umzug der Bräutelzunft mit. „Beim Bräuteln ist es Tradition, dass ein Prominenter wie der Bürgermeister oder Pfarrer die Kapelle dirigiert“, sagt Christoph Ehm aus dem Vorstandsteam der Stadtkapelle. „Irgendwie ist Simon an den Dirigierstab gekommen.“ Der Saal hat getobt und Simon strahlte über das ganze Gesicht. „Von da an gehörte dieser Einsatz zur Fasnet dazu“, so Ehm.
Für Simon war das aber lange nicht genug. Er begleitete Vater und Bruder zu den Proben und mischte sich bei Auftritten der Stadtkapelle unters Volk. Mit der Zeit entwickelte er eine regelrechte Liebe zur Blasmusik, zu Märschen und Polkas und wollte am Wochenende auch die Auftritte anderer Kapellen besuchen. „In der Schule ist das nicht unbemerkt geblieben“, sagt Marion Sauter. Von einer Musikakademie 2009 in Ochsenhausen, zu der ihn seine Lehrerin geschickt hatte, kehrte er mit einer CD mit diversen Varianten der „Vogelwiese“ zurück. „Ernst Hutter und die Egerländer Musikanten sind dann zu seinen Lieblingsmusikern geworden“, sagt Marion Sauter.
Im selben Jahr bekam Simon Sauter zum Geburtstag Trommel und Becken geschenkt. „Er hat aber gleich gemerkt, dass da was fehlt“, sagt Jürgen Sauter. Deshalb gab es zu Weihnachten das komplette Schlagzeug und mit dem neuen Jahr begann der Schlagzeugunterricht bei André Streich an der Mengener Musikschule. Für Bruder Manuel ist seither die Ruhe vorbei. Direkt neben seinem Zimmer im Kellergeschoss hat Simon Probenraum und Tonstudio eingerichtet. „Nach der Schule spiele ich hier“, sagt er. Neben den Stücken, die er für den Unterricht einstudiert, sammelt er Noten und Texte von bekannten Liedern und stellt das Repertoire der Kapellen aus der Region zusammen. Seine Mutter zieht einen Ordner aus dem Schrank, um zu zeigen, wie gewissenhaft er dabei ist. „Die Texte und Noten sucht er sich im Internet zusammen, oft schreibt er sie auch mit der Hand ordentlich auf“, erzählt sie. Lesen und schreiben bereiten dem 19-Jährigen keine Schwierigkeiten. Er liest nach dem Wochenende besonders gern die Berichte über die Auftritte von Musikkapellen in der SZ. Zahlen sind für Simon ein notwendiges Übel. Einkaufen und Bezahlen sind für ihn kein Problem, aber er ist auf die Ehrlichkeit und auf das Verständnis seines Gegenübers angewiesen.
Wenn es um Musik geht, kommt Simon gut allein zurecht. Jedes Wochenende erfreut er in Scheer und Blochingen seine Großeltern mit einem Hauskonzert, oder sucht im Internet nach Auftritten von Kapellen und schaut dann, dass seine Oma mit ihm hingeht.
Bei Auftritten der Stadtkapelle war Simon meistens in der Nähe von Christine Burkhart, und verfolgte genau welche Stücke gespielt werden. Die Dirigentin und auch der damalige Vorstand Franz Lehr hatten für Simon stets ein offenes Ohr und unterstützten ihn bei seinen musikalischen Interessen. So war es vor fünf Jahren ein Auftritt der Stadtkapelle Scheer beim Gartenfest in Ennetach, bei dem Simon die „Vogelwiese“ vor großem Publikum alleine dirigieren durfte. Als dann alle Zugabe riefen, war selbst Simon überwältigt. Für die weiteren Auftritte studierte Simon neue Polkas und Märsche ein, teilte es Christine mit, und durfte seine neuen Stücke dann auch dirigieren.
Viel Zeit hat er bei den Proben der Stadtkapelle damit verbracht, die Dirigentin Christine Burkhart zu studieren. „Er kopiert sie sehr exakt“, sagt Marion Sauter. Weil sowohl Burkhart als auch die anderen Musiker Simon Sauter schon von klein auf kennen, stand es nie zur Debatte, ob er in den Kreis der Musiker aufgenommen wird. „Er war einfach immer dabei“, sagt Katharina Krebs vom Vorstandsteam. Sie war es auch, die Simon vor drei Jahren eine Uniform organisiert hat. „Er hat mich bei einem Grillfest gefragt, ohne dass seine Familie Bescheid wusste“, sagt sie. Zufällig sei im Fundus eine Uniform in der passenden Größe vorrätig gewesen. „Warum sollte er sie dann nicht bekommen?“
Seither trägt Simon Sauter die Uniform nicht nur bei Auftritten, sondern auch bei seinen privaten Proben im Keller und am Wochenende. „Wir müssen aufpassen, dass sie nicht bald total verschlissen ist“, lacht seine Mutter. Simon wirft ihr einen Blick zu, der sie zum Schweigen bringen soll.
Heute spielt er bei Auftritten je nach Stück Becken oder große Trommel. Für das große Schlagzeug probt Simon noch eifrig mit seinem Lehrer Andre Streich, da ihm das schnelle Tempo noch zu schaffen macht. Er legt einen dicken blauen Ordner auf den Tisch. „Das ist wichtig“, sagt er. Stimmt. Denn der blaue Ordner gehört Christine Burkhart, der Dirigentin. Er wird nur aus der Hand gegeben, wenn sie vertreten werden muss. Bei einem Ständchen für ein Mitglied der Stadtkapelle zum Beispiel. Diesmal fällt Simon Sauter die Ehre zu, die Kapelle zu dirigieren. Dass er dabei eine Lederhose tragen soll, sagt ihm nicht ganz zu. „Die Uniform ist doch viel schöner.“
Bei Ernst Hutter und den Egerländer Musikanten ist er übrigens auch schon hinter der Bühne gewesen. „Es fehlt nur noch, dass er die auch dirigieren darf“, sagt sein Vater Jürgen Sauter. „Aber auf die Idee wollen wir ihn eigentlich nicht bringen.“
Quelle: http://www.schwaebische.de/region_artikel,-Ein-Dirigent-fuer-alle-Faelle-_arid,10345824_toid,73.html
Foto: Jennifer Kuhlmann